Tausende Häftlinge befinden sich in der Türkei in Isolationshaft. Die Bedingungen sind so hart, dass sich manche sogar das Leben nehmen. Die türkische Regierung erteilt keine Auskünfte über die fragwürdige Haft-Methode.

“Meine Lebensbedingungen werden jeden einzelnen Tag schlimmer, mir geht es immer schlechter. Ich habe das Recht zu leben. Deshalb fordere ich, dass man mich wieder in eine Gemeinschaftszelle zurück nimmt”, so lauteten die dramatischen Zeilen des 58-Jährigen Lehrer Muzaffer Özcengiz. “Ohne irgendeine Begründung” habe man ihn für 14 Monate in Isolationshaft gesteckt, klagte er. Die Isolationshaft hätte ihn krank gemacht und daher bliebe ihm bald nichts anderes übrig als der Freitod.

Das waren seine letzten Worte, denn Özcengiz starb am 27. April  in Isolationshaft in seiner Gefängniszelle in Corum – ein Hochsicherheitsgefängnis in der Schwarzmeerregion. Er starb zwei Tage nachdem er in diesem Brief den Vollstreckungsrichter bat, seine Einzelhaft zu beenden. 

Özcengiz war zu dem Zeitpunkt seines Todes bereits insgesamt über zwei Jahre inhaftiert. Er wurde zu 12,5 Jahren Haft verurteilt, weil er ein Mitglied der verbotenen Gülen-Bewegung gewesen sein soll. Der HDP-Abgeordneten und Mitglied in der parlamentarischen Menschenrechtskommission Ömer Faruk Gergerlioglu hatte den Abschiedsbrief der Deutschen Welle zugespielt.

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Experten: 3000 Gefangene in Isolationshaft

Zwar gibt es keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele Häftlinge sich in der Türkei in Isolationshaft befinden oder wieviele sich das Leben genommen haben. Doch Schätzungen der Experten zufolge, mit denen die DW gesprochen hat, sollen etwa 3000 Personen von Isolationshaft betroffen sein. 

Die Pressestelle des türkischen Justizministeriums hat der DW keine Ausküfte darüber gegeben, wie viele Gefangene sich zurzeit in Isolationshaft befinden und wie viele Todesfälle für Gefangene in Isolationshaft zu beklagen sind. Auch Leyla Usta Sahin, Beauftragte für Menschenrechtsfragen bei der türkischen Regierungspartei AKP, wollte sich zu dem Thema auf Nachfrage der DW nicht äußern. Doch immer wieder wieder gehen ähnliche Fälle wie die des Lehrers durch die türkische Presse.

Am 19. April starb der pensionierte General Zaki Y.M Hasan im Gefängnis von Silivri. Er soll im Namen der Vereinten Arabischen Emirate die Türkei ausspioniert haben. Auch er nahm sich das Leben, nachdem er längere Zeit in Isolationshaft saß.

Dem Gesetz nach kann es in drei Fällen zu einer Isolationshaft kommen: Erstens bei lebenslänglichen Haftstrafen ohne Bewehrung, bei der Leitung einer terroristischen Vereinigung oder auch als Disziplinar-Maßnahme in Gefängnissen. Doch es gibt immer wieder Hinweise darauf, dass die Isolationshaft in vielen Gefängnissen willkürlich praktiziert wird.

Die Regierung schweigt zu den Zahlen

Türkei Ömer Faruk Gergerlioglu, HDP-Partei (Hilal Köylü)

Der HDP-Abgeordnete Gergerlioglu nennt die Isolationshaft “unerträglich”

Lediglich der Abgeordnete Ömer Faruk Gergerlioglu von der prokurdischen HDP, der sich im türkischen Parlament für die Verbesserung der Haftbedingungen einsetzt, ist bereit, zu dem Thema Auskunft zu erteilen: Die betroffenen Häftlinge seien einer unerträglichen Isolation ausgesetzt, sagt er. Freigänge oder sportliche Aktivitäten seien sogar verboten. Dem Gesetz nach dürfte ein Häftling höchstens 20 Tage in Isolationshaft sitzen, wenn es sich bei der Strafe um ein disziplinarisches Vergehen handelt. “Doch wir wissen, dass sich hunderte Häftlinge bis zu 26 Monaten in Einzelhaft befinden. Das heißt: Der Staat setzt im Gefängnis die Menschenrechte aus”, sagt Gergerlioglu.

Ezgi Yusufoglu, eine Soziologin, die sich intensiv mit dem Thema lebenslänglicher Haft beschäftigt, bestätigt, dass die Bedingungen in den Gefängnissen sehr hart seien: Kontakte mit anderen Gefangenen seien strengstens verboten. Zudem würde lediglich Verwandten ersten Grades der Besuch gestattet. 

Auch sie hat seit Februar 2014 keine Auskünfte mehr vom Justizministerium darüber erhalten, wie viele Gefangene sich in Isolationshaft befinden. Vor fünf Jahren  sollen es 1453 Gefangene gewesen sein.

Nach Putschversuch quellen die Gefängnisse über

Nach Angaben des Justizministeriums und laut der Haftanstalten hätte es im Jahr 2018 in 385 Gefängnissen rund 260.000 Gefangene gegeben. Die Kapazitäten der Gefängnisse lägen jedoch eigentlich bei 111.000 Menschen – durch Etagenbetten und zusätzliche Matratzen auf dem Boden habe man die Kapazitäten auf 220.000 erhöhen können. Regierungsvertreter kündigten an, dass 100 neue Gefängnisse entstehen sollen.

DW

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